Berliner Morgenpost vom 19.04.2021 von Julian Würzer

Zwei Brüder wollen die verrückte Idee eines Flussbads an der Museumsinsel umsetzen – und Gegner Halbnackte vor dem Schloss verhindern.

Etwa 420 Schwimmzüge benötigt ein Brustschwimmer im Spreekanal für die Strecke vom Schlossplatz bis zur Spitze der Museumsinsel. Er bewegt sich dabei in dem langsam fließenden Gewässer vorbei am Humboldt-Forum, am Lustgarten, an der Fassade der James-Simon-Galerie bis hin zum Bode-Museum. Seine Bahn zieht er unter fünf Brücken hindurch, sie verbinden die Insel mit der umliegenden Stadt.

Es gibt normalerweise nur einen Tag im Jahr, an dem Menschen, teilweise in Handtücher gewickelt, in T-Shirts und Shorts und mit Kameras an die Brücken- und Ufergeländer strömen und die Züge der Schwimmer mit gelben Badekappen beobachten.

Beim Flussbad -Pokal im Sommer , der allerdings 2020 wegen Covid-19 und 2017 und 2019 wegen zu verdreckten Wassers ausfallen musste. Trotzdem bleibt die Vorstellung verführerisch, den gesamten Sommer über in den Fluss springen und sich ungezwungen zwischen den Uferwänden im Kanal abkühlen zu können.

Flussbad Berlin: Gereinigtes Spreewasser für den Badeabschnitt
Die Architekten-Brüder Jan und Tim Edler arbeiten an dieser Idee . Seit 1998. Sie wollen zwischen den Plattenbauten an der Friedrichsgracht eine Biotoplandschaft errichten lassen, durch die das Spreewasser gereinigt wird und anschließend in den 835 Meter langen Badeabschnitt einfließt.

Vor dem Berliner Schloss und der European School of Management sollen Freitreppen den Zugang zum Wasser gewähren. Auf Holzstegen am Rande der Uferwände und auf kleinen Inseln, sogenannten „Pontons“ im Wasser, sollen sie sich ausruhen können. Die Bilder in den Simulationen mit dem klaren Wasser, den sich spiegelnden Fassaden der Museen bei Sonnenuntergang, drücken die Sehnsucht der Berliner aus, die Spree wieder nutzen zu können.

Erst haben Tim und Jan Edler allein an der Idee gearbeitet. Seit 2012 gibt es den gemeinnützigen Verein Flussbad Berlin , der das Vorhaben vorantreibt.

Wunsch: 2025 soll das Badeverbot in der Spree nach 100 Jahren enden
Das Büro ist in der Brunnengasse in Mitte. Tim Edler sitzt auf einem kleinen Hocker vor einem großen Holztisch – hinter ihm ist eine Regalwand voller Akten. „Mein Wunsch ist, dass die Menschen im Jahr 2025 wieder in der Spree schwimmen können“, sagt er. Damit wäre zum 100-jährigen Bestehen das Badeverbot in der Spree aufgehoben – zumindest an dieser Stelle.

Bis 1924 gab es sogar ein Flussbad in der Nähe des Berliner Schlosses, ein Jahr später wurde das Baden offiziell wegen der schlechten Wasserqualität untersagt. Edler versucht, aber die Erwartungen zu bremsen. „Es sollte niemand die Vorstellung haben, da kommt ein Bauzaun hin, dann staubt es, und am Ende ist dort ein Flussbad .“ Das Projekt werde nach und nach realisiert.

Baden in der Spree: Vorhaben soll 77 Millionen Euro kosten
Zuerst soll die Freitreppe am Schlossplatz für rund sechs Millionen Euro entstehen, dann soll eine weitere Freitreppe gegenüber vom Auswärtigen Amt gebaut werden, das dortige Wehr muss auch noch erneuert werden. Einer Kostenschätzung für das Konzept zufolge soll das Vorhaben 77 Millionen Euro kosten.

Der Betrag umfasst auch Modernisierungsmaßnahmen, die ohnehin anfallen würden – etwa die der Kanalisation im Kanal, damit bei Starkregen die Abwasser nicht mehr in die Spree eingeleitet werden. Und unter den Naturfilter wolle man sogenannte Düker bauen , einen riesigen Betonklotz, der wegen der geringen Wassertiefe keine hohen Abflüsse zulässt und zur Abfuhr von Hochwasser genutzt werden kann. Ökologisch ist das nicht. „Beton ist der Baustoff der Zeit im Wasserbau, wir suchen aber Alternativen“, sagt Edler.

Wird das Flussbad wirklich realisiert, so wie es ein parteiübergreifender Beschluss im Abgeordnetenhaus vom 21. November 2017 unter dem Namen: „ Flussbad Berlin zum Fließen“ vorsieht, könnte wohl in den 2030er-Jahren ohne Baustelle geschwommen werden.

Gesellschaft Historisches Berlin und Berliner Dom kritisieren Projekt
Doch gut finden die Idee des Flussbads an der Museumsinsel nicht alle. Gerhard Hoya ist Vorsitzender des Vereins Gesellschaft Historisches Berlin . Er steht für die Erhaltung der historischen Stadt und die Bewahrung der baulichen Identität. „Wir wollen verhindern, dass weiterhin Fördermittel für das Projekt ausgegeben werden, weil wir das ganze Vorhaben für unsinnig halten“, sagt er bei einem Gespräch in der Geschäftsstelle des Vereins am Bahnhof Friedrichstraße .

Eine ähnliche Position vertreten auch Akteure innerhalb des Berliner Doms. Vor wenigen Wochen kritisierten sie in einem Offenen Brief, dass trotz jahrelanger Planungsuntersuchungen und Fördergeldern in Höhe von rund 30 Millionen Euro die Verantwortlichen des Flussbads bislang keine überzeugenden Ergebnisse erarbeitet haben . Daher, so das Fazit des Briefes, sei das Projekt „ökonomisch unverantwortlich, unsozial und elitär“. Man wolle eine weitere Verschwendung von Steuergeldern verhindern und fordere die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen auf, dem Vorhaben ein Ende zu bereiten.

Kritik auch von Denkmalschutz und Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Hoya und die Verfasser des Briefes sind aber nicht die einzigen Gegner des Projekts. In Dokumenten, die der Berliner Morgenpost vorliegen, äußert die Oberste Denkmalschutzbehörde massive Zweifel an dem Flussbad . Wörtlich heißt es dort: „Es mag den Bürgerinnen und Bürgern Berlins schwer zu vermitteln sein, wenn Schwimmbad oder Sportplatz im unmittelbaren Einzugsbereich schließen und im gut ausgestatteten kulturellen Zentrum der Stadt für sicher nicht unerhebliche Steuergelder – unter dem Aspekt der natürlichen Reinigung der Spree – eine Badestelle für Touristen und ausgewählte Bewohner der Stadt entsteht.“

In den Unterlagen findet sich auch eine Stellungnahme der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die „zusätzlich anfallenden Müll“, steigenden Nutzungsdruck auf die Toiletten der Museen und sogar den Welterbestatus der Museumsinsel in Gefahr sieht. Fazit: Die Diskussion um das Flussbad in Berlin ist mehr als nur ein lokaler Streit zwischen Museen und Visionären. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schrieb kürzlich, es gehe um die Deutungshoheit auf der Museumsinsel. Der Titel des Textes: „Wem gehört das Zentrum?“

Halbnackte Schwimmer vor der Schlosskuppel
Geht es nach Edler: allen. Geht es nach Denkmalbehörden und Verantwortlichen der Museen: auf keinen Fall dem Volk, das Spaß vor dem Berliner Schloss haben will – als ob halbnackte Schwimmer das Kreuz der Schlosskuppel entweihen würden.

Es ist ein heiterer Apriltag, als zwei Radfahrerinnen am Flussbad -Garten fast am Beginn des geplanten Flussbads anhalten. Auf einem Holzsteg oberhalb des Kanals können sich Besucher über das Projekt informieren. „Dort unten kommt irgendwann das Flussbad hin“, sagt eine der beiden Frauen. „Ein richtiges Bad?“ - „Ja“, erwidert sie. „Dann muss der April nur noch wärmer werden.“

Sie machen einen kleinen Rundgang und steigen wieder auf das Fahrrad. Sie sind an diesem Nachmittag nicht die einzigen, die das Projekt der Edler-Brüder gutheißen. Und aus einigen Gesprächen geht hervor, dass die Menschen nicht in erster Linie an Spaß und Partys am Fluss denken.

Modellprojekt „Autofreie Friedrichstraße “
Wenn man die Entwicklungen der Gesellschaft der vergangenen Jahre in Berlin betrachtet, lechzt die Bevölkerung danach, den innerstädtischen Raum wieder zurückzugewinnen und neu zu denken. Am deutlichsten spürbar ist das bei der Debatte um die Straßen. Politik, Aktivisten, Initiativen setzen sich dafür ein, Autos weitgehend aus der Stadt zu verbannen und die Flächen anders zu nutzen.

Das populärste Beispiel ist das Verkehrsprojekt „Autofreie Friedrichstraße “ . Dort flanieren mal mehr, mal weniger Passanten tagsüber auf dem Asphalt und genießen ihr Mittagessen in eingerichteten Sitzecken. Dazwischen fahren Radfahrer über den Asphalt. Das Projekt sollte den Handel an der Friedrichstraße wiederbeleben – ganz gelungen ist das noch nicht.

Allerdings zeigen Auswertungen, dass der rund 500 Meter langen Abschnitt sauberer geworden ist und ruhiger. Aber neuerdings gibt es einen erneuten Nutzungskonflikt – zwischen Radfahrern und Fußgängern. So einfach ist es eben doch nicht. Doch weshalb könnten Wasserstraßen nicht auch umfunktioniert werden?

Flussbad -Vorbilder in der Schweiz
Der Kanal an der Museumsinsel wird seit Jahrzehnten nicht genutzt. Edler sieht eine „feine Lücke, die eigentlich niemanden interessiert“ und findet es unsinnig, Argumente anzubringen, die die Würde des Ortes in Gefahr sehen. Jedes Schiff zwischen Spreewald und Elbe hätte früher den Kanal passieren müssen. Es habe teils sieben Tage lange Staus gegeben. „Das war ein rammelvoller Ort mit Leben, da haben sich keine Fassaden im Wasser gespiegelt“.

Andere Städte der Welt sind progressiver, allerdings ist in vielen die Diskussion auch nicht so emotional aufgeladen wie auf der Museumsinsel. In Basel schwimmen die Bewohner zusammen mit Touristen neben großen Schiffen im Rhein. In Bern springen die Menschen jeden Sommer in die Aare in der Innenstadt und lassen sich von der starken Strömung treiben. Auch in Weltstädten wie Los Angeles wollen Vordenker, das Baden in Flüssen wieder ermöglichen.

Alte Verordnung verbietet Baden in der Nähe von Brücken
In seinem Büro auf dem kleinen Hocker überschlägt Edler seine Beine und blickt in den leeren Raum. Als er den Brief des Berliner Doms gelesen hatte, war er verwundert, da der Berliner Dom eigentlich kein direkter Anrainer des Flussbads sei und das Schreiben von niemanden unterzeichnet war. Also antwortete er und bat um Aufklärung. Man wolle aber offen auf die Bedenken eingehen und gemeinsame Lösungen. Ihn beschäftigt ein ganz anderes Problem, das auf keiner Metaebene spielt und keine Befindlichkeiten hat. Es ist viel einfacher.

Wenn ein Schwimmer 420 Züge auf dem Abschnitt macht, schwimmt er unter fünf Brücken hindurch. Der Schloßbrücke, der Eisernen Brücke, der Pergamonbrücke, einer Eisenbahnbrücke und der Monbijoubrücke.
Eine Verordnung, die noch aus der Schifffahrt stammt, besagt, dass aus Sicherheitsgründen 100 Meter vor und hinter Brücken niemand baden dürfe. Wenn das Land Berlin diese Verordnung nicht anpasst, wäre ein Planer nach fünf Minuten mit dem Flussbad fertig und würde sagen: „Ich kann das nicht planen.“

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