Berliner Morgenpost 16.05.2021 von Volker Blech

Wer am Gendarmenmarkt vor der Freitreppe steht, sollte sich einmal die Mühe machen und um das Gebäude herumschlendern. Es ist ein rundum imposantes Gebäude. In diesem Jahr wird das 200-jährige Bestehen der vom Berliner Architekten Karl Friedrich Schinkel erbauten Kulturinstitution gefeiert. Aber schon beginnt die Namensverwirrung, ob es denn nun Schauspielhaus oder Konzerthaus heißt? In seriösen Opernführern steht beispielsweise, dass Carl Maria von Webers Nationaloper „Der Freischütz“ am 18. Juni 1821 im Schauspielhaus uraufgeführt wurde. Was der historischen Wahrheit entspricht. Gustav Gründgens, der als Mephisto-Darsteller berühmt und als Nazi-Gefolgsmann zwielichtig wurde, leitete als Intendant das Schauspielhaus bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg.

Der heutige Chefdirigent Christoph Eschenbach hat sein Dienstzimmer aber im Konzerthaus, und er leitet ein Konzerthausorchester. Der erste prägende Nachwende-Intendant Frank Schneider erzählte einmal, er hätte über Jahre hinweg Bewerbungen von Schauspielern aus den westlichen Bundesländern erhalten. Es musste sich erst herumsprechen, dass die DDR 1984 das rekonstruierte Schauspielhaus als einen reinen Konzerttempel wieder eröffnet hatte. Inzwischen hat sich im allgemeinen Sprachgebrauch der Begriff Konzerthaus durchgesetzt.

Bleibt die Frage, wie viel Schinkel steckt überhaupt noch im Konzerthaus? Das sei ganz leicht zu beantworten, sagt Peter-Maria Laduch, der Technische Direktor. „Außen Original, innen Fake.“ Er lächelt dabei, es schwingt ein wenig Stolz mit. Laduch war 1983 als junger Ingenieur zu dem Wiederaufbau-Projekt gestoßen. Er beschreibt den hemdsärmeligen Umgang bei den Machern, die sich gegen politische und bauliche Widrigkeiten durchsetzen mussten. Vor allem aber gegen die Mangelwirtschaft der DDR. Jetzt stehen wir am Bühneneingang. Ich habe mir vorgenommen, nicht eher zu gehen, bis er mir auch im Inneren etwas zeigt, was nicht nur nachgemacht oder neu erfunden, sondern original Schinkel ist. Laduch zögert, am Ende sind es zwei Dinge, an denen der Konzertbesucher aber eher achtlos vorbeiläuft.

Für jedes neue Theater wurden die alten Fundamente genutzt
Den Original-Schinkel erlebt jeder, der von den Foyers her den Großen Saal betritt. Der Besucher muss durch einen der Türdurchgänge, die jeweils einige Meter lang sind. Gut zwei Meter davon sind die Originalwand aus Schinkels Zeiten, davor ist die Verstärkung für die Neuzeit angebraucht. Die Einlasstüren sind deshalb so schwer, weil sie gleichzeitig Brandschutztüren sind. Die Originalmauern führen in die 200-jährige Schauspielhaus-Geschichte zurück, in der es offenbar immer darum ging, so sparsam wie möglich zu bauen und zu modernisieren. Auch Schinkel wurde vom König beauftragt, erzählt Laduch, sich aus Kostengründen am Grundriss des Vorgängerbaus zu orientieren.
Das Nationaltheater von Architekt Karl Gotthard Langhans, der auch das Brandenburger Tor entworfen hatte, war im Jahr 1817 abgebrannt. König Friedrich Wilhelm III. beauftragte Schinkel, und der bezog bestehende Fundamente und Mauerreste des Langhansschen Baus in seinen Neubau mit ein. Auf der Vorderseite kam die Freitreppe hinzu, ebenso der figurenbekrönte Giebelaufsatz und die Säulenvorhalle. Im Inneren gab es den Großen Saal, halbkreisförmig mit drei Rängen angelegt und klassizistisch ausgestattet.

Der wesentlich kleinere Konzert- und Ballsaal des alten Schauspielhauses diente als Vorlage für den heutigen Großen Saal des Konzerthauses. Er wurde um 90 Grad gedreht und „aufgeblasen“, wie einmal ein Kritiker anmerkte. Aber Umbauten im Inneren gab es vorher bereits. 1904 wurde das Schauspielhaus zu einem wilhelminisch-neobarocken Prunktheater umgestaltet, 1935 erfolgte der Rückbau auf Schinkel. In den letzten Kriegstagen 1945 wurde das Theater vollständig zerstört, man glaubt, der große Brand hing mit darin verschanzten SS-Leuten zusammen. Die Ruine blieb lange Zeit unbeachtet liegen. Die Nachkriegsgesellschaft hatte andere Probleme.
Aber es kam die Zeit, in der sich die Ost-Berliner Führung international repräsentieren wollte. Die wieder aufgebaute Staatsoper Unter den Linden war 1955 eröffnet worden, parallel wurde die Karl-Marx-Allee prächtig ausgebaut, der Fernsehturm sollte alles überragen, der Palast der Republik eröffnete 1976. Architekt Karl Prasser war dort für den Großen Saal zuständig. Dann wurde das Schauspielhaus sein Projekt.

In der Königsloge fand man die Überreste der Toilette
Unter Leitung des Architektenteams Ehrhardt Gißke, Klaus Just und Karl Prasser begann 1979 der Wiederaufbau mit der Beseitigung der Schutt- und Trümmermassen. „Im Schutthaufen war in der Königsloge sogar noch das Klo mit der roten Samtbrille zu finden“, sagte der 2018 verstorbene Prasser in einem Interview. Es gab zwei grundlegende Fragen zu klären. Zunächst musste die künftige Nutzung beschlossen werden. Das sei von vornherein klar gewesen, sagte der Startenor Peter Schreier, der von 1984 bis 1990 Präsident des „Kuratoriums Schauspielhaus Berlin“ war, im Interview mit der Morgenpost. „Auch deshalb, weil dort schon vor der Zerstörung viele Konzerte stattfanden“, so Schreier: „Ein Schauspielhaus im ursprünglichen Sinne kam nicht in Frage, da gab es bereits das Deutsche Theater. Es fehlte uns aber das Pendant zur Philharmonie in West-Berlin.“
Gegenüber der kulturpolitischen Selbstdarstellung hatte Prasser einen anderen, pragmatischen Blick auf das neue Konzerthaus. „Wenn du den Schinkel außen nicht zerstören willst, kannst du kein Theater reinbauen“, sagte der Architekt: „Dafür brauchst du eine Obermaschinerie, Seitenbühnen, eine Hinterbühne. Und das ging nicht. Da die DDR genug Theater hatte, aber keinen Konzertsaal, hat man eine sinnvolle Entscheidung getroffen. Es war kein politischer Willkürakt.“
Mehr Streitigkeiten gab es um die Gestaltung der Innenräume. „Es war die Bilderstürmerzeit“, erklärte Prasser. Im Westen wurden Kirchen entrümpelt und ein moderner Tisch reingestellt. Aber die DDR hätte ja kein Geld gehabt, also blieb alles wie es war. „In der Bundesrepublik war es Mode zu modernisieren. Das beste Beispiel war die Frankfurter Oper, außen alt, innen modern.“ Für Prasser war es klar, dass die Parteiführung im Westen unterwegs war und immer das wollte, was sie dort gesehen hatte. Die Partei wollte also außen Schinkel, so der Architekt, und innen Holzkiste.

Bei einer entscheidenden Sitzung war ihm der Kragen geplatzt. „Wenn meine DDR nicht eenmal den Arsch in der Hose hat, was eigenes zu machen, nicht immer nachäfft, was die anderen machen, dann könnt ihr euern Dreck alleene machen.“ Prasser hielt seine Worte im Nachhinein für eine politische Brandrede. Der Architekt war davon überzeugt, dass das Auge mithört. „In der Oper hast du wenigstens noch das Bühnenbild. Die Musiker sitzen dann in einem Karton drinne. Das ist Mist.“ In der Sitzung herrschte zunächst Stille. Dann bekam er freie Hand. „Wir müssen alles schinkeln,“ so Prasser: „Das war unser Schlagwort.“
Rund 90 Bau- und Spezialfirmen waren am Wiederaufbau beteiligt. Für die Farben und die Stilistik hatte man sich in Sanssouci umgesehen. Im Konzerthaus spürt man diese Liebe zum Detail. Darüber hinaus hat man eine eigene Fußbodenlüftung erfunden und klappbare Zuschauerstühle im klassizistischen Stil kreiert. „Bei Schinkel war die Freitreppe eine Attrappe. Die Leute sind über die Seitentreppen in den Saal hineingekommen. Jetzt kannst du sie benutzen.“

Nur zwölf Bilder haben die Kriegszerstörung überstanden
„Die Architektur hilft vor allem, erst einmal ein Staunen zu erzeugen“, sagt Sebastian Nordmann, der amtierende Intendant. „Das ist nicht irgendein Gebäude in einer Fußgängerzone, sondern es ist dieser riesige Gendarmenmarkt, Deutscher Dom, Französischer Dom, in der Mitte thront das Konzerthaus. Man geht die Treppe hoch, man kommt hinein und es ist schon direkt ein positiver Effekt.“ Drinnen im Treppenhaus zeigt Peter-Maria Laduch auf die Apollo-Bilder von August von Kloeber an den Wänden. 1818 hatte der seinerzeit bekannte Kloeber eine Bleistiftzeichnung von Beethoven gemacht – der Komponist meinte, seine Frisur sei gut getroffen. Im selben Jahr wurde der Breslauer Kloeber auf Betreiben Schinkels nach Berlin berufen, wo er an der Ausmalung im neuerrichteten Schauspielhaus beteiligt war.

Nur zwölf Bilder von Kloeber haben die Kriegszerstörung überstanden, sie wurden 1950 aus der Ruine geholt und später erst restauriert. Es sind die letzten Originale aus der Schinkel-Zeit. Vor dem Bild „Apollo beim Bau der Mauer von Troja“ bleiben wir einen Moment andächtig stehen

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