Die Feinplanung beginnt, es wird gefährlich. Es drohen lange Riegel, monotone Fassaden. Peter Dobrick von Stadtbild e.V. hat Vorschläge, wie es besser geht.
Berliner-Zeitung 25.05.2021 - Das Gespräch führte Maritta Tkalec.

Eine lebendige Mischung von Wohnen, Kultur, Kaufen, abwechslungsreiche Fassaden: Die Oranienburger Straße ist ein Beispiel für eine lebendige europäische Stadt.

Berlin -Mitte Kann Berlin ein schönes, innerstädtisches Viertel bauen ? Am Molkenmarkt besteht jetzt die Chance, die Tradition der europäischen Stadt modern zu interpretieren. Der 2020 gegründete Berliner Ortsverband des bundesweit tätigen Vereins Stadtbild Deutschland e.V. will monotone Fassaden verhindern, Erinnerungsbauten als Highlights platzieren, hofft auf die Umsetzung der Ergebnisse der Bürgerbeteiligung und formuliert Forderungen an die Berliner Verantwortlichen. Dr. Peter Dobrick, Arzt in Berlin , engagiert sich als Leiter des Ortsverbands für eine gute Baukultur in der Stadt.

Berliner Zeitung: Herr Dobrick, wo finden Sie in Berlin die schöne europäische Stadt?

Peter Dobrick: Vielleicht in der Spandauer Vorstadt. Dort ist der mittelalterliche Stadtgrundriss noch erlebbar, dort finden sich ganz unterschiedliche Häuser aus vier Jahrhunderten. So verschieden die Häuser sind, gemeinsam zeigen sie das selbstverständliche Bemühen früherer Zeiten um ein schönes Fassadenbild und eine gute Einpassung in den städtischen Organismus. Durch die Straßen zu gehen, erscheint mir dort nie monoton und ermüdend. An fast jeder Ecke bietet sich eine neue Perspektive, zeigt sich eine andere Welt – die Kuppel des Doms in der Ferne, das Postfuhramt, die Sophienkirche, auch die Ruine des Tacheles, die Höfe. Hier der Trubel des Hackeschen Markts, dort die fast intime Stille der Sophienstraße. Es ist wie ein Tableau der Stadtgeschichte.

Was gefällt Ihnen daran so besonders?

Die vielen sich hier kreuzenden und verbindenden Bestandteile des städtischen Lebens, Kultur, Gastronomie, Arbeit, Wohnen, Begegnung. Man kann beobachten und ist zugleich ein Teil der Szenerie. All das ist mit der Baukultur des Ortes untrennbar verbunden, aus deren Erleben und Verständnis wir auch Lehren für das städtische Bauen in Gegenwart und Zukunft ziehen können.

Die Spandauer Vorstadt ist ja auch ein Denkmalbereich …

Ja, es ist vorbildlich, was dort alles liebevoll und sorgfältig wiederhergestellt wurde. Fassaden, von denen in früheren Zeiten der Stuck abgeschlagen wurde, die grau und ruinös waren, wurden in Anlehnung an den bauzeitlichen Zustand restauriert, auch die Fassadenfarben. Man bemerkt den Respekt vor dem Wert des gewachsenen, vielfältig baugeschichtlich geprägten Stadtbilds.

Zur Person

Dr. Peter Dobrick , geboren 1965 in Kiel, kam 1988 zum Medizinstudium nach Berlin . Er arbeitet als Hausarzt in Steglitz und lebt mit seiner Familie in Lichterfelde.

Den Berliner Ortsverband des bundesweit tätigen gemeinnützigen Vereins Stadtbild Deutschland gründete er im September 2020.

Menschen leben offenkundig gern in Gründerzeithäusern. Warum richten sich Architekten, Bauherren, Stadtplaner nicht danach?

Es gab seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Tendenz zur Trennung von Wohnen und Arbeiten, zur Suburbanisierung, auch aus nachvollziehbaren Gründen der Baugesundheit – hinaus ins Grüne. Erst in den vergangenen Jahrzehnten lernte man die urbanen, auch die integrativen Qualitäten durchmischter gründerzeitlicher Quartiere wieder zu schätzen, wo Kultur, Wohnen, Arbeiten, Handel, Dienstleistung eng beieinander sind. Auch dort errichtete Neubauten profitieren davon. Der Siedlungsbau der Zukunft sollte nicht Monotonie und Segregation schaffen, sondern sich an den vielfältigen Qualitäten der gründerzeitlichen Stadt orientieren.

Dresden und Frankfurt am Main haben sich – auf Betreiben der Bürger – in ihre jeweilige alte Mitte ein neues Viertel platziert. Jedes knüpft an Traditionen, bewahrt Grundrisse, setzt Leit- und Erinnerungsbauten zwischen moderne Häuser. Wie finden Sie das?

Sehr gut, weil es ein Bedürfnis der Menschen nach Identifikation mit der besonderen, geschichtlich verwurzelten Baukultur ihres Ortes gibt. Schöne Baukunst wirkt anziehend. Kaum jemand möchte wohl nur in seinem Häuschen im Vorort hocken und nur im Versandhandel bestellen. In Dresden und Frankfurt am Main, auch in Potsdam, wurde zerstörte, verlorene, einstmals prägende Baukultur an ihrem früheren Ort wiederhergestellt. Noch mag es aufgrund der Eigentümer- und Bewohnerstruktur teilweise unbelebt und steril wirken. Aber mit der Zeit wird es in den Stadtorganismus integriert werden und von den Bewohnern der Städte wie auch den Besuchern geliebt und wertgeschätzt werden. In Berlin gilt dies in gewisser Weise auch für den Bereich zwischen Humboldt-Forum und dem östlichen, bereits weitgehend zu DDR-Zeiten rekonstruierten Teil von Unter den Linden. Allerdings sind dies keine Wohngebäude.

Was müsste rund ums Humboldt-Forum geschehen?

Aufgrund der besonderen Geschichte Berlins gibt es dort ein Nebeneinander kaum vereinbar scheinender städtischer Welten: auf der einen Seite der zu DDR-Zeiten geprägte Bereich zwischen Marx-Engels-Forum, Rathausforum, Alexanderplatz bis hin zur Karl-Marx-Allee. Auf der anderen Seite das klassische Berlin, von Stadtschloss und Museumsinsel bis hin zum Brandenburger Tor. Es ist nachvollziehbar, dass der östliche Bereich von vielen Menschen, besonders aus dem Ostteil der Stadt, als schutzwürdiger Teil ihrer Identität empfunden wird. Der Teil zwischen Marx-Engels-Forum und Fernsehturm soll nach den Vorgaben des Senats unbebaut bleiben, verkehrsberuhigt und entsiegelt werden. Vielleicht werden die Berliner in späteren Zeiten noch einmal neu über diesen Ort nachdenken und andere Prioritäten setzen.

Flachdächer, Schrägdächer, begrünte Dächer: Die Luftaufnahme vom Hackeschen Markt zeigt eine vielfältige Gestaltung.

Im Hinblick auf das Umfeld des Humboldt-Forums hätten wir als Berliner Ortsverband von Stadtbild Deutschland e.V. es angemessen gefunden, den Zustand von vor der Zerstörung zumindest teilweise wiederherzustellen, auch im Hinblick auf den geschichtlich gewachsenen Bezug zu Museumsinsel und Unter den Linden : Südlich des Schlosses die auch stadtklimatisch vorteilhafte Wiederherstellung des Schlossbrunnens , der beidseitigen Schmuckbeete und der südlichen Schlossterrassen, in Verbindung mit einer Sperrung der Straßenverbindung zwischen Breiter und Französischer Straße für den Durchgangsverkehr. Auf der Nordseite die Rückkehr der kunsthistorisch bedeutenden Rossebändiger und der Adlersäule, in Verbindung mit einer Verkehrsberuhigung, um den Besuchern der Museumsinsel sichere Wege zwischen Lustgarten und Humboldt-Forum zu ermöglichen. Am jetzigen Standort von Rossebändigern und Neptunbrunnen könnten bei Bedarf Abgüsse platziert werden, für die es Spendensammlungen geben könnte.

Bleiben wir am Molkenmarkt. Was sollte dort wie geschehen?

Der Bebauungsplan von 2016 bildet eine akzeptable Grundlage für eine annähernde Wiederherstellung der städtebaulichen Gestalt des flächenmäßig recht großen Quartiers südlich des Roten Rathauses. Im vergangenen Jahr wurden die Ergebnisse der von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen durchgeführten Bürgerbeteiligung publiziert, mit dem Resultat einer deutlichen Befürwortung eines Leit- und Erinnerungsbautenkonzeptes für den Quartiersbereich, für eine kleinteilige und abwechslungsreiche, an den früher dort vorhandenen Fassadenbildern und Dachformen orientierte Neubebauung. Auch die Einrichtung archäologischer Fenster an verschiedenen Orten des Quartiers mit bedeutenden Ausgrabungsbefunden wurde gewünscht.

Was ist dem Verein besonders wichtig?

Zunächst möchten wir einen Beitrag dazu leisten, diesem wichtigen Zukunftsgebiet innerstädtischen Bauens auf geschichtlich bedeutendem Grund mehr Aufmerksamkeit in der öffentlichen Wahrnehmung zu verschaffen. Anders als beispielsweise im Fall der Potsdamer Mitte gibt es in Berlin bisher wenig Bewusstsein für die Bedeutung dessen, was an diesem Ort an wertvoller städtischer Substanz entstehen, auch wieder entstehen könnte. Welche baukulturell oder historisch bedeutenden Bauwerke könnten an ihrem ursprünglichen Ort als Erinnerungsarchitekturen wiederaufgebaut werden? Welche wären es wert, aufgrund veränderter Straßenführung eventuell transloziert wiederhergestellt zu werden, so wie es ja auch im Nikolaiviertel geschehen ist? Bei ersterem denken wir beispielsweise an den vorgründerzeitlichen Großen Jüdenhof im Zentrum des Quartiers, bei letzterem etwa an den Schinkelbau der Gewerbeakademie von 1829 und das barocke Palais Kreutz in der Klosterstraße. Dies alles könnte eingebettet sein in ein kleinteiliges, lebendiges innerstädtisches Quartier.

Stadtgeschichte Ausgrabungen in Mitte: Am Anfang stand die Holzhütte

Was wollen Sie als nächstes erreichen?

Wir fürchten, wenn es keine ausreichende Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und bei den Entscheiderinnen und Entscheidern in Parlament und Stadtregierung für dieses Thema gibt, würden zwischen Molkenmarkt , Grunerstraße und Stralauer Straße langgestreckte, monotone, gesichtslose Wohn- und Gewerberiegel entstehen, die diesem bedeutenden Ort nicht gerecht werden. In wenigen Jahren könnten Weichen gestellt und Planungskosten entstanden sein, die es schwer machen würden, die Gestaltung noch zu verändern.

Wie gehen Sie vor?

Wir haben in einem Brief an die Parlamentarier im Berliner Abgeordnetenhaus, an die Bezirksverordneten von Mitte, an die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen und die Senatsbaudirektorin unsere Anliegen formuliert und hoffen, dass sie in die Wahlprogramme der Parteien Eingang finden und es nach der Abgeordnetenhauswahl positive Entwicklungen in diesem Sinne gibt. Wir arbeiten an künstlerischen Visualisierungen des zukünftigen Quartiers mit einer an unseren Vorstellungen orientierten Gestaltung und möchten Vorschläge für Gestaltungsleitlinien machen.

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