Richtfest für das Archäologische Haus: Unter dem Petriplatz liegen die Ursprünge Berlins – und die Skelette der ersten Berliner.
Berliner Morgenpost vom 08.06.2021 von Isabell Jürgens

Als die Archäologen 2007 anfingen, unter einem bis dahin zubetonierten Parkplatz an der Gertraudenstraße in Mitte nach den Spuren des mittelalterlichen Berlins zu graben, stießen sie auf eine echte Sensation. Nicht nur, dass sie am Petriplatz , unmittelbar neben der achtspurigen Straße auf die Grundmauern der ehemaligen Lateinschule sowie die verschiedenen Fassungen der Petrikirche stießen. Zudem entdeckten die Archäologen die Skelette von rund 4000 Menschen – und einen Holzbalken, der beweist, dass Berlin älter ist, als bislang gedacht. Im Archäologischen Haus, für das am Montag das Richtfest gefeiert wurde, sollen die Berliner dauerhaft Gelegenheit bekommen, einen Einblick in die Ursprünge ihrer Heimatstadt zu bekommen.

Als sie fast zeitgleich zu den ersten Grabungsfunden vor 14 Jahren nach Berlin gekommen sei, erinnert sich Senatsbaudirektorin Regula Lüscher, sei sie entsetzt gewesen, dass diese wichtigen Funde nicht dauerhaft am Ort präsentiert werden sollten. „Ich habe sehr dafür gekämpft, dass wir sowohl die Schlosskeller unter dem rekonstruierten Schloss, die alten Rathausfundamente an der neuen U-Bahnstation Rotes Rathaus und eben hier die Fundamente der Kirchenbauten und der Lateinschule in so genannten archäologischen Fenstern öffentlich zugänglich machen“, so die Senatsbaudirektorin.
Glücklicherweise habe in den vergangenen Jahren ein Umdenken in Berlin stattgefunden. Das starke Interesse an der Berliner Stadtgeschichte in der Bevölkerung habe dazu beigetragen, dass ein solcher Bau möglich wurde, sagt Lüscher.

2023 soll das Archäologische Haus eröffnet werden
In den Jahren 2007 bis 2010 hatten die Archäologen, größtenteils verborgen unter weißen Planen, mehr als 3000 Gräber mit knapp 4000 Personen ausgegraben. Einige, so belegten Untersuchungen, hatten bereits zwischen 1150 und 1200 dort ihre letzte Ruhe gefunden. Ein Großteil der Knochen, die die Wissenschaftler keinem Skelett zuordnen konnten, wurden 2012 auf dem Friedhof St. Petri-Luisenstadt in der Friedenstraße beigesetzt.
Entdeckt wurde auch ein Eichenbalken aus einem mittelalterlichen Erdkeller, der laut Radiokohlenstoffdatierung im Jahr 1192 gefällt worden sein soll. Die erste urkundliche Erwähnung Berlins stammt jedoch erst aus dem Jahr 1237, weshalb erst 2037 Berlins 800 Jahrfeier stattfinden soll. Eigentlich hätte man also wohl bereits 1992 feiern können.

400 Berliner finden im Gebäude ihre letzte Ruhestätte
An der Wiege Berlins soll nun bis 2023 viel mehr entstehen als nur ein archäologisches Fenster: Ein ganzes Archäologisches Haus, in dem nicht nur rund 400 der 4000 Skelettfunde eine würdige Ruhestätte in einem sogenannten Beinhaus finden, sondern Besuchern auch die Grabungsfunde vor Ort sowie eine Schauausstellung und eine Schauwerkstatt geboten werden.

In Berlin sind die mittelalterlichen Spuren durch die wechselvolle Geschichte der Stadt weitestgehend verschwunden. „Es gibt nur noch wenige Gebäude, die aufrecht stehen und an die mehr als 800-jährige Geschichte der Stadt erinnern“, sagt der Berliner Landesarchäologe Matthias Wemhoff. Das mache die Fundamente der Lateinschule und der verschiedenen Petrikirchen sowie der hier über die Jahrhunderte hinweg bestatteten Berliner so wichtig.
Der siebengeschossige Bau auf dem Petriplatz „ist bisher im Zeit- und Kostenrahmen“, ergänzt Kultursenator Klaus Lederer (Linke). Rund 32 Millionen Euro seien für den Bau sowie die Außenanlagen veranschlagt. Entworfen hat das Gebäude der Architekt Florian Nagler. Neben der Dachterrasse im obersten Geschoss und den archäologischen Fenstern, durch die Besucher jederzeit auch von außen einen Blick in das Gebäude werfen können, liegt aber in der Tiefe: Der Grundriss des Grabungsgeschosses, der einige 100 Quadratmeter größer ist als das Gebäude selbst, folgt der Kontur der ehemaligen Lateinschule und ragt weit unter den Petriplatz . Nach der Eröffnung in zwei Jahren sollen sämtliche Etagen für die Besucher des Hauses zugänglich sein.

Neue Grabung am Schinkelplatz startet
„Mit dem Archäologischen Haus am Petriplatz bekommt Berlin eine einzigartige Institution, in der Besucher und Fachexperten in Austausch kommen können“, so Christoph Rauhut, Landeskonservator und Leiter des Landesdenkmalamtes. „Hier wollen wir in Zukunft über die aktuellen Grabungsvorhaben in Berlin informieren“, verspricht er. Denn durch die rege Bautätigkeit in Berlins historischer Mitte kommen immer wieder neue spektakuläre Funde ans Tageslicht – wie etwa bei den Grabungen vor dem Roten Rathaus, bei denen elf Skulpturen gefunden wurden, die 1937 im Zuge der nationalsozialistischen Aktion „Entartete Kunst“ in deutschen Museen beschlagnahmt worden waren und als verschollen galten.

Neue spannende Einblicke in die wechselhafte Berliner Geschichte versprechen auch die jüngst gestarteten Sondierungen am Schinkelplatz in Mitte. Dort werden in Vorbereitung auf den geplanten Wiederaufbau der Berliner Bauakademie nun zunächst die Archäologen die Chance haben, nach Relikten der Vergangenheit zu graben.

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