THEMENSPEZIAL In der Mitte Berlins öffnen sich Räume und Blickachsen: Wie sich die Spreeinsel neu erfindet
Der Tagesspiegel vom 11.06.2021

Der Schlüterhof und die Passage zwischen Schlossplatz und Lustgarten sind endlich offen: Ein NEUER STADTRAUM entsteht im und rund ums Humboldt Forum. Berliner und Touristen werden Spreebalkon, Durchgänge und Terrassen erkunden und ungewohnte Blickachsen entdecken. Vier Perspektiven auf die neue Nachbarschaft in der Mitte Berlins.

Am Mittwoch haben wir den Schlüterhof und die Schlosspassage geöffnet, und ich bin mir sicher, dass die Berlinerinnen und Berliner das gut annehmen werden. Der Schlüterhof ist wie eine italienische Piazza, mit Gastronomie und Shop, und wunderbar geeignet für Veranstaltungen. Wir haben mit dem Humboldt Forum einen neuen Stadtraum, ein schönes kulturelles Zentrum geschaffen, das die Stadt bereichert.

Leicht war es nicht in den letzten Jahren: Erst die Hochphase der Baukonjunktur, die es schwer machte, Firmen und Arbeitskräfte zu finden, und dann mussten wir in der Corona-Pandemie oft und lange auf verschiedene Handwerker verzichten. Außerdem gibt es wie bei jedem Bauprojekt technische Probleme, schließlich haben wir hier quasi eine Kleinstadt mit 700 Häusern gebaut und eine extravagante Ausstellungsarchitektur für die Staatlichen Museen geschaffen, die besondere Bedürfnisse in Sachen Klima und Sicherheit haben. Aber wir sind bei den Baukosten , wenn man die Teuerungsrate in Berlin -Brandenburg einrechnet, im Rahmen geblieben.

Im Juli werden die ersten Ausstellungen eröffnen. Aber schon jetzt halten sich viele Menschen gerne rund um das Gebäude auf, wir haben auf die Spreeterrasse und zum Lustgarten hin extra Stühle aufgestellt. Besonders freue ich mich darauf, wenn wir im September, so hoffe ich, die Dachterrasse öffnen können: Da haben Sie einen fantastischen Blick zum Brandenburger Tor und darüber hinaus bis zum Teufelsberg. Ein wunderbarer Ort!
Wir sind so froh, dass die Baustelle endlich weg ist! Wir sind im Neuen Marstall der direkteste Nachbar des Humboldt Forums, und jetzt haben wir einen freien Blick genau auf den Knick, wo die moderne Ostfassade und die barocke Südfassade zusammentreffen. Mir gefällt dieser Bruch sehr gut, denn letztlich spiegelt er unsere Fragestellung an der Hochschule für Musik Hanns Eisler wider: Wie findet jede/r für sich die eigene Interpretation des kulturellen Erbes, in unserem Falle des musikalischen Repertoires, wo es nicht um Reproduktion gehen kann, sondern um die Übertragung in unsere Zeit, geprägt von der künstlerischen Persönlichkeit? Das Gebäude des Humboldt Forums ist ebenso keine reine Rekonstruktion, sondern thematisiert die Spannung zwischen Geschichte und Moderne.

Unsere Studierenden haben schon beim Richtfest und bei den Tagen der offenen Baustelle gespielt, und wir hoffen natürlich, dass wir noch oft Teil des künstlerischen Programms sein werden. 75 Prozent unserer Studierenden haben einen internationalen Hintergrund, wir sind eine kosmopolitische Truppe und freuen uns auf den Austausch, die vielen Menschen und Sprachen, die ins Humboldt Forum kommen werden. Das Humboldt Forum hat uns Nachbarn auf der Spreeinsel zusammengebracht: In der „Interessengemeinschaft Spreeinsel“ tauschen wir uns sehr kollegial über alle praktischen Fragen aus, von den Bushaltestellen bis zu Sicherheitsfragen. Und klar: Wir essen jetzt unsere Mittagsbrote auf der Spreeterrasse!

Als der Bundestag entschieden hat, das Schloss wiederaufzubauen, war ich sehr skeptisch: Wozu das Ganze? Die Idee aber, in der Hülle mit dem Humboldt Forum einen Ort zu schaffen, an dem sich die Kulturen auf Augenhöhe begegnen können, hat mich von Anfang an begeistert – und mit der barocken Fassade versöhnt. Ich freue mich sehr darauf, wenn alle Bereiche zugänglich sein werden. Ein großartiger neuer Nachbar für uns!
Wir haben viele gemeinsame Themen. Die Kirche muss sich ja, ähnlich wie das Ethnologische Museum im Humboldt Forum, mit der Kolonialgeschichte auseinandersetzen – denn die Missionare haben eine ambivalente Rolle gespielt, die Kolonialherrschaft teilweise befördert, teilweise aber auch kritisiert. Dass dieses Thema jetzt so stark ins allgemeine Bewusstsein gerückt ist, ist ein großer Fortschritt, allein deswegen kann man schon dankbar sein, dass es das Humboldt Forum gibt. Hinzu kommt: Viele Objekte, die dort ausgestellt werden, stammen aus religiösen Kontexten. Darüber gemeinsam nachzudenken, wird sehr anregend sein.
Das Kreuz auf der Kuppel? Das hätte meiner Meinung nach nicht sein müssen, es ist ja keine Kapelle mehr darunter. Es stört mich aber auch nicht, man muss es nur richtig lesen: nicht als Herrschaftszeichen, sondern als Erinnerung daran, dass niemand allein ist mit seinem Leid. Für mich ist die Ebene der kritischen Reflektion in der Religion immer inbegriffen.

Auf der Spreeinsel wird es nun sicher voller werden, aber es werden kulturell und historisch interessierte Berliner :innen und Tourist:innen sein, die hoffentlich, wenn sie das Humboldt Forum besucht haben, auch mal im Dom vorbeischauen. Ich bin gespannt, wie das Humboldt Forum mit den großen Erwartungen, die an es gerichtet werden, umgehen wird. Als Nachbarn sind wir an einer guten Zusammenarbeit natürlich interessiert, aber klar ist auch: Das Deutsche Historische Museum hat ein ganz anderes Profil. Wir sind ein historisches Museum mit einer entsprechenden Sammlung, und deswegen ist unser Blick auch ein anderer. Zur Rekonstruktion kann ich als Historiker sagen: Wenn es den Wunsch gab nach einer „perfekten Mitte“ – nach einer Mitte nämlich, die in die Zeit vor dem Nationalsozialismus und der DDR zurückgeht – , dann zeigen die Debatten um das Humboldt Forum wohl, dass das kein leicht zu erfüllender Wunsch ist. Es hat viele Diskussionen gegeben um die restaurative Architektur, das Kreuz, die Kuppel und die Inschrift, um den Abriss des Palasts der Republik und um die Herkunft der ethnologischen Sammlungen, und diese Diskussionen sind wichtig. Es ist eben, und das ist aus Sicht eines Historikers positiv, nicht möglich, Geschichte unsichtbar zu machen, etwa was an dieser Stelle zwischen 1933 und 1989 passiert ist. Mein Eindruck ist, dass die Leitung des Humboldt Forums das auch so sieht und die Auseinandersetzung mit der Geschichte als Herausforderung betrachtet – das ist eine große Chance.

In unseren Ausstellungen über die Brüder Humboldt oder den deutschen Kolonialismus haben wir inhaltliche Überschneidungen mit dem Humboldt Forum gehabt, aber das war nicht systematisch. In einem Punkt haben wir schon reagiert: Unser überdachter Innenhof hieß bis vor einigen Jahren „Schlüterhof“. Damit sich das nicht doppelt mit dem Schlüterhof im Humboldt Forum, haben wir ihn in „Zeughaushof“ umbenannt.
Raphael Gross (55) ist seit 2017 Präsident des Deutschen Historischen Museums. Der Schweizer Historiker hat zuvor das Leo-Baeck-Institut in London und das Jüdische Museum in Frankfurt/Main geleitet. Hans-Dieter Hegner (60) ist seit 2016 Vorstand für den Baubereich in der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss. Der studierte Architekt war zuvor im Bundesministerium für Verkehr tätig. Petra Zimmermann (62) ist seit 2006 Dompredigerin am Berliner Dom. Die promovierte Theologin stammt aus Dortmund und hat unter anderem an der Universität Hamburg gelehrt. Sarah Wedl-Wilson (52) ist seit Oktober 2019 Rektorin der Hochschule für Musik Hanns Eisler. Die Musikerin und Kulturmanagerin war zuvor unter anderem Vizerektorin der Universität Mozarteum in Salzburg.

Der Tagesspiegel im Internet: www.tagesspiegel.de