Berliner Zeitung vom 12.07.2021 von Maritta Tkalec

Es stand schlecht um die Friedrichswerdersche Kirche, als 2012 tiefgaragentiefe Baugruben nebenan die Wände des neogotischen Backsteinbaus reißen ließen; obendrein wuchsen die neuschicken Häuser höher als ihre historischen Vorgänger. Die Sorge war groß, dass die Kirche irreparable Schäden erleiden, ihr Inneres verdunkelt und das zierliche Gebäude von den neuen Blöcken schier erdrückt würde.

Es ist nur halb so schlimm gekommen. Das Gemäuer ist stabilisiert, im Sommer entfaltet das Sonnenlicht im Innern seine Wirkung – und Schinkels Bau behauptet sich, was Vorbeispazierende freut.

Gut stellt sich die Lage auch aus der Luft dar, wie man im Bildband „Mitte von oben. Luftbilder des Berliner Stadtkerns gestern und heute“ erkennt. Das Bildpaar vom Werderschen Markt zeigt Aufnahmen von 1925 und 2020 aus genau gleicher Perspektive. Und siehe da: Der historische Stadtgrundriss ist eingehalten. So viel Rücksicht war selten. Der Stadtraum ist perfekt wiederzuerkennen. Es geht also doch.

Das Ensemble samt Wäldchen und Bärenbrunnen hat Charme, und die vielen Liebhaber des Schinkel-Juwels dürfen sich freuen – natürlich auch auf das kürzlich eröffnete Innere mit neuer Ausstellung. Und wenn erst irgendwann nahe der Kirche die Bauakademie wieder steht ...

Das nach seinem Ersterscheinen 2015 schnell vergriffene Buch der Autoren Benedikt Goebel und Lutz Mauersberger, das nun in aktualisierter und überarbeiteter Neuausgabe vorliegt, zeigt 50 solcher Bildpaare, Luftbildfotograf Philipp Meuser ist über etliche Areale nochmals geflogen, um die baulichen Veränderungen, vor allem am Schloss, festzuhalten. Jedes der Paare erzählt die Geschichte eines städtischen Raums – und die sieht in den meisten Fällen weniger günstig aus als am Werderschen Markt.

Ein extremes Beispiel stellt die Spreeinsel dar – nur der Spreearm hilft noch bei der Orientierung, sonst haben Punkthochhäuser und Riegelbauten das lebendige Viertel Alt-Cölln ersetzt, die heutige Form ignoriert das Prinzip europäische Stadt vollständig. Als solche ist das Quartier auf dem Foto von 1930 mit vielgestaltiger Wasserfront gut zu erkennen.

Belebten Handelsplatz getötet

Ähnlich steht es am Mühlendamm , dem ältesten Spreeübergang, wo die Stadt ihren Existenzgrund fand. Der einst belebte Handelsplatz ist heute öde Verkehrsstraße . Hier wurde ein Ort getötet.

In nächster Zeit stehen Veränderungen an. Über das künftige Aussehen von Molkenmarkt und Mühlendamm wird debattiert. Die Autoren beklagen, dass der Umbau der Mitte ohne städtebauliche Vision und Rücksicht auf Gewesenes begonnen hat. In den Debatten erkennen sie „die Unsicherheit, wie dieser Ort mit seiner 800-jährigen komplexen und widersprüchlichen Geschichte zukunftsorientiert und nachhaltig umgestaltet werden kann“. Sie fordern: „ Berlin muss sich dringend der langen Vergangenheit seiner Mitte bewusst werden.“ Mit „ Berlin “ meinen sie vor allem die Bürger.

Buchtipp: „Mitte von oben. Luftbilder des Berliner Stadtkerns gestern und heute“ von Benedikt Goebel, Lutz Mauersberger, hrsg. vom Bürgerforum Berlin e. V., Lukas Verlag 2021, 112 Seiten, 24,90 Euro