Die südliche Seite des Humboldt Forums kommt noch ganz ohne Pflanzen aus. Wer sie besucht, wird sich schnell eine Frage stellen: Sollte der Neptunbrunnen hierhin zurückkehren?
Berliner Morgenpost vom 29.07.2021 von Isabell Jürgens

Steine, Steine und noch einmal Steine, so weit das Auge reicht: Auf der Südseite des Schlosses erwartet die Besucher, die es durch die neu geschaffene Passage durchqueren, eine riesige gepflasterte Fläche, die nur durch zwei – ebenfalls aus Stein gefertigte – lange Sitzbank gegliedert wird. Nicht nur Klimaaktivisten und Naturschützern zeigten sich ob der Totalversiegelung auf der Südseite des Humboldt Forums entsetzt.

Doch die Wettbewerbsjury lobte 2013 den Entwurf von BBZ Landschaftsarchitekten: Der „urbane harte Vorplatz im Süden, zeitgenössisch durch Bankmonolithe strukturiert“, wie es heißt, gefiel in seiner Kargheit offenbar. Er setzte sich gegen deutlich grünere Vorschläge von unterlegenen Büros durch. In der Stadtgesellschaft stieß diese Begründung dagegen auf Unverständnis: Eine Steinwüste sei schon aus stadtökologischen Gesichtspunkten angesichts zunehmender Hitzesommer alles andere als zeitgemäß, argumentierte etwa der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Berlin . Gerade an Sommertagen heize sich der Platz tagsüber extrem auf und gebe nachts entsprechend Wärme ab.

Schlossfreunde- und -förderer bezeichnen die Umfeldgestaltung gar als „Lüschers Rache für die Schlossrekonstruktion“. Senatsbaudirektorin Regula Lüscher hatte sich als Preisrichterin besonders für die minimalistisch reduzierte Umfeldgestaltung für das Humboldt Forum eingesetzt und die Rückkehr des Neptunbrunnens – der seit 1969 quasi im Exil auf dem namenlosen Platz vor dem Roten Rathaus steht – abgelehnt.

Die Anhänger der Wiedergewinnung der historischen Mitte jedoch machen sich für die Rückkehr des Brunnens auf seinen angestammten Platz stark. Und das beherrschende Schmuckelement auf der Südseite am Schloßplatz war nun einmal der vom Bildhauer Reinhold Begas geschaffene Neptunbrunnen. Das 1891 enthüllte Meisterwerk war ein Geschenk Berlins an den Kaiser, stand vor dem Portal II in der Achse der Breiten Straße und betonte den Hauptzugang zum Berliner Schloss auf dieser Seite. 1901 wurde der Schloßplatz zusätzlich mit rechteckigen Schmuckbeeten begrünt – auch diesen Schmuck hätten die Freunde der historischen Mitte gern wieder.

Planer: Rückführung von Artefakten ist möglich
Das Büro BBZ verteidigt den südlichen Schloßplatz gegen die Kritik. „Theoretisch ist es möglich, den Neptunbrunnen zurückzuholen, das haben wir in unserer Planung berücksichtigt, wir waren beim Aufgreifen der historischen Raumkonfiguration sehr präzise“, sagt Planer Timo Herrmann. Dies sei auch Teil der Wettbewerbsaufgabe gewesen. „Eine langfristige Rekonstruktion des Schloßplatzes (Süd) mit einer Änderung der Verkehrsführung sowie die Möglichkeit der Rückführung von Artefakten an den ursprünglichen (authentischen) historischen Ort sollen bestehen bleiben“, hatte das Preisgericht 2013 einstimmig empfohlen.

„Wenn man sich entscheidet, den Neptunbrunnen zu versetzen, dann aber bitte wirklich an seinen Originalstandort – und nicht um ein paar Meter hin zum Schloss“, gibt Herrmann zu bedenken. Und der historische Standort befinde sich nun einmal zu einem Drittel auf der Rathausstraße. Diese müsste also in diesem Bereich oval um den Brunnenstandort herum verschwenkt werden. BBZ habe dazu jedenfalls bereits Variantenprüfungen angefertigt, so Herrmann.
Natürlich hätte das Büro auch einfach einen neuen Brunnen für diesen Ort entwerfen können – und sich so zugleich viel Kritik am steinernen Entwurf ersparen können. Man habe aber der Debatte nicht vorgreifen wollen, indem man Fakten schafft: „Es gibt eine große gesellschaftliche Diskussion darüber, ob der Neptunbrunnen zurückgeholt werden soll – und letztlich muss das eben auch die Stadtgesellschaft ausverhandeln“, sagt der Planer.

Der „steinerne Garten“ jedenfalls führt dazu, dass sich bisher nur wenige Besucher aus dem Schloss kommend auf den südlichen Schloßplatz vorwagen. Denn neben den Fassaden der gegenüberliegenden Prachtbauten gibt es hier außer der enormen Weite des Areals nicht viel zu sehen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Schloßplatzes, an der Ecke zur Spree, liegt der Neue Marstall, ein im Stil des Neobarock im Jahr 1901 fertiggestelltes Baudenkmal , in dem heute die Hochschule für Musik Hanns Eisler, die Stadtbibliothek und der Verein für die Geschichte Berlins untergebracht sind. Daneben das Staatsratsgebäude am Schloßplatz 1, dem 1962–1964 erbauten ehemaligen Amtssitz des Staatsrats der DDR, in dessen Fassade das „echte“ Schlossportal IV eingebaut wurde. Nutzer des Gebäudes ist die European School of Management and Technology. Und hier findet sich dann auch noch etwas Grün: Ein Baumhain vor dem Gebäude und direkt am Spreekanal soll an die ehemalige Bebauung der Straße An der Stechbahn erinnern.

Der Architekt der Schloss-Rekonstruktion, Franco Stella, hatte eigentlich eine ganz andere Vision für diese Seite: Seine Nord-Süd-Passage quer durch das Schloss macht aus der abgeschlossenen Hohenzollern-Residenz erstmals einen offenen Ort, der die Bürger dazu einlädt, die neue städtebauliche Verbindung zwischen der Museums- und der Fischerinsel zu erkunden. Vielleicht dauert es aber auch einfach nur ein bisschen, bis die Berliner diese neue Verbindung entdecken – und beispielsweise das nur wenige hundert Meter entfernte Nikolaiviertel oder das Archäologische Zentrum am Petriplatz besuchen, das 2023 eröffnen soll.

Die Macher des Humboldt Forums selbst können mit der steinernen Südseite übrigens gut leben: „Wir brauchen eine große freie Fläche, im Evakuierungsfall müssen hier bis zu 10.000 Besucher Platz finden können“, sagt Hans-Dieter Hegner, Vorstand Bau der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss . Zudem seien auf der Südseite die Feuerwehrzufahrt und die Aufstellplätze für die Übertragungswagen der Medien sowie an der Südwestecke die Einfahrt für Ver- und Entsorgungsfahrzeuge und immerhin 24 Behindertenparkplätze – übrigens die einzigen Parkplätze am Humboldt Forum.

Kopie oder Original – auch das wird diskutiert
Auch aus anderen Gründen hält Hegner die gepflasterte Fläche zumindest für praktisch: „Wenn wir die Fenster putzen wollen, müssen wir mit dem Hubwagen dicht an die Fassade heranfahren können“, sagt er. Aber: „Natürlich wäre noch Platz für einen wunderbaren Brunnen“, so der Bauingenieur weiter. Und er ist überzeugt: „Die Debatte um den Brunnen wird weitergehen.“ Schließlich habe sie die Senatsbaudirektorin selbst befeuert, indem sie kürzlich vorschlug, den Neptunbrunnen einfach nachzubauen und die Kopie vor das Schloss zu stellen – schließlich sei doch auch das Schloss eine Kopie.

Besucher des öden Platzes sollten sich dennoch die Zeit nehmen, eine Besonderheit an der Südostecke genauer zu betrachten. Denn entgegen Stellas Entwurfsplanung für die Schlossrekonstruktion sollte das von Andreas Schlüter entworfene Eckrondell gar nicht wieder neu erstehen. Doch dank einer großzügigen Einzelspende im Jahr 2012 konnte der Runderker, der Friedrich II. zuerst als Schlaf-, später als Arbeitszimmer diente, an der Fassade des Neubaus angebracht werden. Die Architekten mussten dafür nur die Grundrissplanung geringfügig verändern. Der Runderker bildet nun den östlichen Abschluss der Schlossfassade hin zu der von Architekt Stella modern gestalteten Ostfassade.
Wer nun genug gesehen hat, kann entweder das Schloss in Richtung Osten umrunden oder durch die von mächtigen Säulen gefassten Portale in den Schlüterhof (Portal I) oder in die Schloss-Passage (Portal II) zurückkehren. Wer sich für das Portal I und den Schlüterhof entscheidet, findet dort an der Basis der Säule eine Inschrift: „Bertold Just (1963–2018) hat als Leiter der Schlossbauhütte von Beginn an maßgeblich die Rekonstruktion der historischen Fassaden ermöglicht. Die Portalfigur ,Klugheit‘ ist ihm gewidmet.“ Seit 2011 überwachte der Werkstattleiter auf dem Gelände der ehemaligen britischen Alexander-Barracks in Spandau, wie die zwei Dutzend Bildhauer, Steinmetze und Restauratoren den barocken Schmuck für das Schloss modellierten, kopierten und rekonstruierten. Schließlich wurden die Widderköpfe, Adler und Kolossalstatuen in Sandstein gehauen. Davon wurden für die Barockfassade des Humboldt Forums insgesamt rund 9000 Tonnen verarbeitet. „Just und sein Wissen haben für die Qualität der ausgeführten Arbeiten gesorgt, wir haben ihm unendlich viel zu verdanken“, sagt Bau -Vorstand Hegner.

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