Ein Mietpreisbremsen-Check, Investitionen in Neubau - und keine Enteignungen. Hier skizziert die SPD-Bürgermeisterkandidatin, wie sie die Wohnungsprobleme der Hauptstadt lösen will.
Tagesspiegel vom 28.08.2021

Wohnen ist die große soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Wie viele andere Metropolen steht Berlin vor der Herausforderung, genügend Wohnraum für die Berlinerinnen und Berliner, aber auch für diejenigen zu schaffen, die neu in unsere Stadt kommen. Wohnraum der bezahlbar ist, in lebenswerten Kiezen mit Menschen aus unterschiedlichsten sozialen und ethnischen Herkünften.

Seit einigen Jahren nimmt die Konkurrenz um Wohnraum zu, die Stadt wächst über ihre bisherigen Grenzen – in die Breite und oft auch in die Höhe. Menschen machen sich Sorgen, ob sie ihre Wohnung noch bezahlen können, ob ihr Kiez auch künftig noch ihr Zuhause sein wird.

Wie können Mieter*innen besser vor unlauteren Vermietern geschützt werden?

Alle, die politische Verantwortung tragen, müssen sich mit der Frage auseinandersetzen, wie wir die Berliner Mischung auch in der Innenstadt erhalten können und nicht Verhältnisse wie in London oder in Paris bekommen, wo sich nur wohlhabende Menschen eine Wohnung in der Innenstadt leisten können und alle anderen an den Stadtrand gedrängt werden.

Es geht deshalb um zwei zentrale Fragen:

Wie schützen wir Mieterinnen und Mieter vor unlauteren Mietsteigerungen? Und: Wie schaffen wir zügig mehr Wohnungen in unserer Stadt?

Für die meisten Menschen in der Mieterstadt Berlin ist der Erhalt und Schutz des eigenen bestehenden Mietverhältnisses am wichtigsten. Die Angst vor dem Verlust der eigenen vier Wände wegen steigender Mieten oder durch Kündigung begegnet mir täglich in Gesprächen mit den Berlinerinnen und Berlinern. Wie wir an den Erfahrungen mit dem Mietendeckelurteil des Bundesverfassungsgerichts sehen, sind die Möglichkeiten des Landes hier sehr begrenzt.

Wir haben mit sozialdemokratischer Politik in Berlin und auch bundesweit bereits einiges erreicht. Es gibt Instrumente für einen effektiven Mieterschutz, sie werden jedoch zu wenig konsequent umgesetzt. Eines davon ist die Mietpreisbremse, die die Länder ermächtigt, Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten durch Rechtsverordnung zu bestimmen und Vermieter zur Offenlegung der Miete des letzten Mietverhältnisses zu verpflichten.

Ein Mietpreis-Bremsencheck könnte Auswüchse verhindern
Das Entscheidende ist, Regelungen zur Kontrolle und Einhaltung der Mietpreisbremse zu erlassen, diese durchzusetzen und Verstöße ordnungsrechtlich zu sanktionieren. Mieterinnen und Mieter müssen beraten und informiert werden und vor allem Rechtsbeistand bekommen, um auf einer gesicherten rechtlichen Grundlage Ansprüche gegenüber Vermietern auch geltend machen zu können.

Ich schlage deshalb einen „Mietpreis-Bremsencheck“ vor, der ermöglicht, besser gegen Vermieter vorzugehen, die sich nicht an die Regeln halten.

Mieterinnen und Mieter müssen über ihre Rechte Bescheid wissen. Nur Transparenz und Wissen versetzt Menschen in die Lage, ihre Rechte auch tatsächlich wahrzunehmen. Dafür braucht es eine „Mieterberatung Plus“, die in den Bezirken für starke Ansprechpartner sorgt, an die sich Menschen wenden können, die sich Wuchermieten oder unlauteren Vermietungspraktiken ausgesetzt sehen.

Ganz entscheidend neben einem effektiveren Mieterschutz ist es aber, bei steigendem Bedarf an Wohnraum, den Neubau in unserer Stadt voranzubringen mit einer klaren Haltung: „Chefinnensache Wohnungsneubau“ und „Kooperation statt Konfrontation“.

Wenn wir in Berlin im nächsten Jahrzehnt 200.000 neue und bezahlbare Wohnungen bauen wollen, dann wird es nur gehen, wenn wir alle Kräfte bündeln, in den Verwaltungen und mit unseren Partnern – den städtischen Wohnungsbaugesellschaften, den Genossenschaften und auch den privaten Wohnungsbauunternehmen.

Das Hamburger Modell ist eine gute Blaupause für Berlin
Deshalb schlage ich ein Bündnis mit Bezirken, Genossenschaften, landeseigenen und privaten Wohnungsunternehmen vor. Alle diese Partner müssen an einem „Runden Tisch Wohnungsneubau“ zusammenkommen, an dem schnell reagiert wird und Probleme gelöst werden. So hat Hamburg es vorgemacht, daran möchte ich mich orientieren. Das Hamburger Bündnis aus allen Akteuren hat es geschafft, dass überall in der Stadt zügig, unkompliziert und vor allem für Mieterinnen und Mieter bezahlbar gebaut wird. Das braucht auch Berlin.

Derzeit werden 16 neue Stadtquartiere in Berlin entwickelt, etwa im Kurt-Schumacher-Quartier oder am Güterbahnhof Köpenick – insgesamt etwa 50.000 Wohnungen. Das sind wichtige Vorhaben für die Neubauziele der Stadt, aber wir müssen darüber hinaus gehen und vor allem das Bauen beschleunigen mit einem „Schneller- Bauen -Gesetz“ für Berlin . Dazu gehört, dass wir die Bauämter , genauso wie die Straßen- und Grünflächenämter personell in die Lage versetzen, in kürzeren, vereinfachten und digitalisierten Verfahren mehr und schneller Baugenehmigungen zu erteilen oder Baustelleneinrichtungen zuzulassen.

Senatsverwaltungen für Verkehr und Stadtentwicklung zusammenlegen
Und es geht auch um strukturelle Rahmenbedingungen. Ich halte es für sinnvoll und zielführend, die Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und Verkehr wieder zu einer gemeinsamen Verwaltung zusammenzuführen und Wohnungsneubau und Infrastrukturentwicklung aus einer Hand zu planen und umzusetzen.

Dabei sollten zwei Aspekte handlungsleitend sein. Erstens: Jedes Neubauprojekt in Berlin sollte einen Beitrag dazu leisten, auch Sozialwohnungen und Wohnungen für ein mittleres Preissegment zu schaffen. Wer neu baut, muss auch für die Stadtgesellschaft bauen und einen Teil seiner Wohnungen preisgünstig an Menschen vermieten, die auf dem Wohnungsmarkt ansonsten keine Chance hätten. Und zweitens: bei allem Bemühen um eine große Zahl an Wohnungen sollten die Ansprüche an die architektonische Qualität und die Entstehung nachhaltiger Stadtquartiere, die auch in hundert Jahren noch lebenswert sind, nicht außer Acht gelassen werden.

Anteil landeseigener Wohnungen durch Bau und Ankauf erhöhen - nicht durch Enteignung
Und noch ein Punkt ist von essentieller Bedeutung für die Zukunft. Ich finde es grundsätzlich richtig, den Anteil der landeseigenen Wohnungen, die zu fairen Preisen vermietet werden, perspektivisch zu erhöhen. Dies sollte aber durch Ankauf geschehen und nicht durch Enteignungen.

Zwischen 8 und 36 Milliarden Was kostet „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“?

Am 26. September entscheiden die Berlinerinnen und Berliner, wem sie zutrauen, unsere Stadt in eine gute Zukunft zu führen. Zur Wahl steht dabei auch der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, der die Enteignung von Unternehmen mit über 3000 Wohnungen und ihre Überführung in die öffentliche Hand fordert. Mit den Unterschriften von rund 350.000 Berlinerinnen und Berlinern wurde das Quorum deutlich erreicht.

Dieses Signal und vor allem das damit verbundene Anliegen nehme ich sehr ernst. Die Politik hat die Aufgabe, verantwortungsvoll mit dem Volksentscheid umzugehen und sein Ergebnis zu respektieren. Dennoch ist es im Vorfeld einer solchen Entscheidung wichtig, auch klar über die Inhalte und Folgen zu sprechen und auch darüber, in welcher Stadt wir in Zukunft leben wollen.

Enteignungen stehen rechtlich auf dünnem Eis
Ich möchte nicht in einer Stadt leben, in der Eigentum nach pauschalen Kriterien weggenommen wird. Das ist weder zielgenau noch gerecht – abgesehen davon, dass das Vorhaben auf rechtlich sehr dünnem Eis steht. Es ist fraglich, ob es sich ein solches Vorhaben vor den Verfassungsgerichten durchsetzen ließe.

Ein erfolgreicher Volksentscheid würde voraussichtlich eine jahrelange Rechtsunsicherheit mit sich bringen: Kein Unternehmen würde mehr Geld für die Instandhaltung der Wohnungen oder für ihre energetische oder barrierefreie Sanierung ausgeben, wenn das Damoklesschwert der Enteignung über ihm schwebt.

Hinzu kommt, dass das Land Milliardensummen an Entschädigungsleistungen für die 240.000 Wohnungen, um die es geht, aufbringen müsste. Der Senat hat die Höhe der Entschädigungszahlungen auf einen Betrag zwischen 29 und 39 Milliarden Euro taxiert. Das ist in etwa so viel wie ein kompletter Berliner Landeshaushalt für ein ganzes Jahr. Die Finanzierung dieser Summe über Kredite bedeutet eine immense Verschuldung des Landes Berlin, in einer Zeit in der wir immer wieder darüber sprechen, wie wichtig es ist, dass wir uns nicht aus der Krise nach der Corona-Pandemie heraussparen, sondern investieren.

Investieren statt enteignen
In einer Zeit, in der wir dringend in unsere Kitas und Schulen, in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs oder mehr Personal in den Bürgerämtern investieren müssten. Und neben der Tatsache, dass Schulden auch zurückgezahlt werden müssen und jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann, entsteht keine einzige neue Wohnung dadurch. Würden wir die Entschädigungssumme allerdings in den Wohnungsneubau investieren, könnten damit über 200.000 neue städtische Wohnungen entstehen.

Deshalb lehne ich den vermeintlich einfachen Lösungsweg der Enteignungen ab und werbe für ein klares Nein. Anstatt unfaire Vermieter mit Entschädigungsleistungen zu belohnen, sollten wir alles tun, um sie in die Pflicht zu nehmen und Mieterschutzrechte effektiv durchzusetzen.

Berlin steht in den kommenden Jahren vor großen Herausforderungen. Wir werden mehr, schneller und bezahlbarer bauen müssen. Und wir wollen auch unseren Wohnungsbestand so schnell wie möglich zur Klimaneutralität bringen. Meine Erfahrung ist: Stadt gelingt nur gemeinsam. Ich möchte weg von der Konfrontation und hin zum Miteinander. Alle müssen ihren Beitrag leisten und niemand darf sich seiner Verantwortung für eine soziale Wohnungspolitik entziehen. Das ist, was Berlin jetzt wirklich braucht.

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