Der Verein Gesellschaft Historisches Berlin hat die Unterschutzstellung der Plattenbauten an der Wilhelmstraße kritisiert.
Berliner Morgenpost vom 20.09.2021 von Julian Würzer

Der Verein Gesellschaft Historisches Berlin bezeichnet die Unterschutzstellung der Plattenbauten an der Wilhelmstraße in Berlin -Mitte als „fatale Fehlentscheidung“. Ein politischer und gesellschaftlicher Konsens für die Entwicklung der Quartiere an der Wilhelmstraße stehe noch aus, kritisierte Gerhard Hoya, Vorstandsvorsitzender des Vereins in einem Schreiben, das der Berliner Morgenpost vorliegt. Doch das sei nun nur noch eingeschränkt möglich, da der Landeskonservator die Plattenbauten „übereilt“ unter Denkmalschutz gestellt habe. Es sei die Frage zu stellen, ob die Wahrung einer DDR-Tradition durch Bauwerkserhaltung kulturell, politisch und wirtschaftlich zu wünschen ist, so Hoya weiter in dem Schreiben.

Hoya: Ensemble an der Wilhelmstraße wurde nie vollendet
Große Teile der Zivilgesellschaft teilen das Interesse am Erhalt des Wohnquartiers wegen der geschichtlichen Bedeutung aber laut Hoya nicht. Auch weil es sich nur um einen „fragmentarischen Rumpf eines Neubau-Wohnkomplexes“ handle. Hoya zufolge seien die Plattenbauten an der Wilhelmstraße lediglich ein Versuch gewesen, das Todesstreifengelände zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz städtebaulich aufzuwerten. Allerdings sei das Ensemble nie vollendet worden, so Hoya.

Vergangene Woche hatte das Landesdenkmalamt Berlin die Plattenbauten an der Wilhelmstraße in Berlin -Mitte unter Denkmalschutz gestellt. Das Wohnquartier zwischen Behrenstraße und Voßstraße entstand von 1987 bis 1992 unter Chefarchitekt Helmut Stingl. Nach Auffassung des Landesdenkmalamts sei die Gesamtanlage aus geschichtlichen, künstlerischen und städtebaulichen Gründen denkmalwert. Sie war für 4.000 Menschen ausgelegt und umfasste neben Wohnungen auch zahlreiche Geschäfte und Gaststätten.

„Wichtiger Baustein im Wettbewerb der politischen Systeme“
Insbesondere hebt die Behörde die Bauten mit ihren Erkern, Balkonen, Gauben und Loggien hervor. Die Gebäude seien eine Anspielung auf die barocken Palais an, die im 18. Jahrhundert die Wilhelmstraße säumten. Einst wohnten in dem Quartier Günter Schabowski, erster Sekretär der SED-Bezirksleitung von Ost- Berlin, und Kurt Hager, einflussreicher Kulturpolitiker im Staatsrat der DDR.
Die Lage direkt an der Grenze zwischen Ost- und West- Berlin , in unmittelbarer Nähe zum Brandenburger Tor, das von Touristen aus dem In- und Ausland besucht wurde, habe laut Landesdenkmalamt eine große Rolle: „Das einen Steinwurf von der Grenze entfernte Quartier war ein wichtiger Baustein im Wettbewerb der politischen Systeme“, erklärte Landeskonservator Christoph Rauhut. Er bezeichnete die Plattenbauten an der Wilhelmstraße „als Leuchtturmprojekt der Ost- Berliner Hauptstadtplanung“, das in einer prominenten und historisch aufgeladener Lage liege.

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