Die Skulptur steht wieder am Spreekanal, aber auf Jahre nicht mehr auf, sondern neben der Brücke. Die muss erst saniert werden.
Berliner Zeitung vom 09.12.2021 von Gerhard Lehrtke

Im Schneegestöber ist sie zurückgekehrt: Die Skulptur der Heiligen Gertraude wurde (fast) an ihrem alten Standort aufgestellt, von dem sie 2017 verschwunden war. Jetzt ist sie geputzt, restauriert, mit schützendem Wachs überzogen und schön wie 1896, als sie auf die damals neue und jetzt alte Gertraudenbrücke gestellt worden war.

Der Restaurator Bernd M. Helmich hatte die Figur mit drei Kollegen seit März von bis zu drei Millimeter dicken Kalkablagerungen befreit, die bei Feuchtigkeit Korrosionsschäden an der Bronze verursachten. Er war fast ein wenig wehmütig, als er mit einem Kranführer und einer Mitarbeiterin die drei Tonnen schwere Skulptur auf einen Interims-Betonsockel neben der Brücke zirkelte.

Großes Lob für Künstler und Gießer

Er war der 3,60 Meter großen Heiligen sehr nahe gekommen, als der Kalksinter mit Skalpell und Freilegemesser abgetragen wurde. Er war überaus angetan: „Die Skulptur ist eine ganz feine Arbeit, sowohl bildhauerisch als auch handwerklich.“ Er glaube nicht, dass jemand heute noch ein Werk abliefern könne, wie es dem Bildhauer Rudolf Siemering und den Kunstguss-Spezialisten aus Lauchhammer (Oberspreewald-Lausitz) 1895 gelang.

Eine ganz feine Arbeit!
Bernd M. Helmich, Restaurator
Insgesamt sei die Gertraude in einem guten Zustand gewesen, sagt der 60-Jährige, es blieb nur ein Rätsel, wie Teerklumpen ins Innere gekommen seien. Die 1896 auf der Brüstung der damals neuen Gertraudenbrücke aufgestellte Figur musste nur in kleinen Teilen ergänzt werden. Drei verlorene Lilienblüten wurden nachgegossen – und ein Strick: An ihm führt der Wanderbursche, dem Gertraude zu trinken gibt, eine Gans.

Gertraude, auch als Gertraud oder Gertrud bekannt, war eine adlige fränkische Nonne, die im 7. Jahrhundert dem Kloster Nivelles im heutigen Belgien als Äbtissin vorstand. Sie war für ihre Fürsorge für Kranke berühmt, schützte als Heilige vor Ratten- und Mäuseplage und ist unter anderem Schutzpatronin der Reisenden und Spinnerinnen. So erklärt sich auch das Denkmal der Heiligen: Sie kümmert sich rührend um dem Wanderer, zu ihren Füßen krabbeln Mäuse, und sie hat einen Spinnrocken in der Hand. Die Lilien erinnern an den 17. März, den Tag der Heiligen, wenn der Frühling einkehrt.

Da Bildhauer Siemering nicht wissen konnte, wie die historische Gertraude aussah, nahm er seine deutlich jüngere Frau Martha (mit dem schönen Mädchennamen Brausewetter) als Modell.

Gertraude drohte in die Spree zu stürzen

Bis zum Frühjahr 2017 stand die Figur auf der steinernen Brüstung der Brücke. Das Landesdenkmalamt ließ sie abmontieren, weil die Brüstung nicht mehr tragfähig war. Gertraude drohte in den Spreekanal zu stürzen. Von der Demontage wusste in der Öffentlichkeit niemand, Anwohner schlugen Alarm bei der Polizei. Sie fürchteten, Metalldiebe hätten die Gertraude gestohlen.

Danach stand sie jahrelang in einem Depot, bis die Verwaltung entschied, was mit ihr geschehen soll. Helmich und seine Mitarbeiter konnten 2021 mit der Arbeit beginnen. Wann die Skulptur wieder auf die Brüstung gestellt werden kann, ist ungewiss. Möglicherweise noch vor 2025 soll mit der Brückensanierung begonnen werden. Bis dahin wird Gertraude von ihrem Betonsockel auf ihren alten Standort blicken.

Bei der Aufstellung gab es eine kleine Freuden-Demonstration von Gertrauden-Fans und der Interessengemeinschaft Leipziger Straße. Die Archäologin Claudia Melisch, die gefühlt den gesamten Untergrund der historischen Doppelstadt Berlin -Cölln umgegraben hat, machte begeistert Handyfotos. Sie findet es „enorm wichtig, dass sie aus der Versenkung wieder aufgetaucht ist. Ich freue mich riesig.“ Denn „nichts außer der Skulptur erinnert daran, dass am Standort der wichtigsten Geschichtszeugin der Umgebung einstmals das auf der Spreeinsel gelegene Cölln endete“.

Die Leute liebten ihre Gertraude, befindet Melisch, die auch noch einen Hinweis gibt, warum der Spittelmarkt so heißt, wie er heißt: Vor Jahrhunderten stand etwa an der heutigen Einmündung der Beuth- in die Axel-Springer-Straße das Gertraudenspital. Die Berliner verballhornten „Spital“ in Spittel.

Der Stadthistoriker Benedikt Goebel ist gleichfalls erfreut, hält die Wiederaufstellung für lange überfällig: „Es ist das volkstümlichste Denkmal Berlins.“ Deshalb sei es auch ärgerlich, dass die Skulptur jetzt eingezäunt ist: „Wer die Mäuse zu ihren Füßen streichelt – so geht der Glaube –, hat immer Geld und in Liebesdingen die Aussicht auf eine gute Partie.“ Das werde nun nicht mehr funktionieren.

Heftige Kritik an der Planung für den Standort
Viel schlimmer findet Goebel aber, dass Gertraude in Zukunft weiter an einer innerstädtischen Art Autobahn stehen wird. Denn Pläne, den Verkehr des Straßenzugs Leipziger und Gertraudenstraße über die jetzt Fußgängern vorbehaltene historische Gertraudenbrücke zu führen, hat der Senat gekippt. Sie soll irgendwann in den nächsten Jahren saniert, die daneben liegende, vielspurige Autobrücke aus DDR-Zeiten ersetzt werden. Goebel urteilt: „Ein monströses Bauwerk, schrecklich für Mitte und schädlich für die Stadt.“

Die Erklärung des Senats, man brauche weiterhin diese zweite Überführung neben der alten Brücke für die geplante Straßenbahn, lässt er nicht gelten: „Die historische Brücke trug die Tram, und die heutigen Züge sind nicht schwerer.“ Wie zum Beweis der Tragfähigkeit zeigt Gerhard Boß ein Foto, dass der ehemalige Pfarrer der Gertraudengemeinde bei einer NVA-Parade 1974 gemacht hatte: Panzer rollen über das Bauwerk.

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