Visitenkarte Berlins muss wiederhergestellt werden - Es braucht einen Masterplan
Von Wolfram Giese und H. P. Serwene

Am Anfang stand 1543 ein Reitweg vom Schloss zum Tiergarten. Mit der Stadterweiterung durch die Dorotheenstadt, ließ der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm 1647 dann eine „Linden- und Nussbaumallee" anlegen. Dieses Jahr gilt als Gründungszeit des späteren berühmten Berliner Boulevards „Unter den Linden".

Im 18. Jahrhundert entwickelte sich die Allee von der „Hundebrücke" (später Schlossbrücke) her. Erst 1737 wurde „Unter den Linden" im Stadtplan neu genannt. Das Lindenforum (mit dem Zeughaus) und das Forum Fridiricianum (Oper u. a.) geben den oberen Teil des Boulevards noch heute seine repräsentativen Konturen. In den noch im 18. Jh. von Friedrich II angeordneten „lmmidiathäusern" befanden sich Wohnungen für höhere Beamte und Militärs.

Der Teil von der Charlottenstraße bis zum Brandenburger Tor veränderte sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert in seiner Bebauung und sozialen Struktur entscheidend. Durch die Nähe der Fernbahn (Bhf Friedrichstraße) gab es eine große Anzahl von Hotels und Büro- und Bankhäusern - aus zwei wurden fünf Stockwerke.

Aber die Hotels boten auch großzügige Cafes an. Berühmt an der Ecke Friedrichstraße die Cafes Kranzler, Bauer und Viktoria. Viele Geschäfte zogen auch die Berliner zum Einkaufen und Bummeln an.

Der Zweite Weltkrieg und seine Zerstörung veränderten die Allee sehr stark.

Immerhin sind das Lindenforum an der Schlossbrücke und das Forum an der Oper wieder restauriert worden.

Den größten Einbruch erlebte die Bummelmeile von Charlottenstraße bis zum Pariser Platz. Viele der zerstörten kleinteiligen Gebäude wurden durch große Gebäudekomplexe ersetzt, ohne Annäherung an die historischen Fassaden. Damit wurde auch die Kleinteiligkeit der historischen Fassadenreihe zerstört. Das negativste Beispiel ist die neue sowjetische (heute russische) Botschaft, die einen ganzen Straßenteil (Wilhelmstraße bis Glinkastraße) einnimmt.

Leider hat sich diese Entwicklung durch „die Wende" nicht verändert. Hier sei das Beispiel des sogenannten „Lindencorso" über mehrere Parzellen genannt. Ein Autohaus befindet sich heute fort, wo einst das berühmte Cafe Bauer zum Sehen und Gesehenwerden einlud.

Zwischen Wilhelmstraße und Schadowstraße mit einst sechs Parzellen stehen jetzt zwei Botschaften (Ungarn und Polen) und ein Gebäude für die Bundestagsverwaltung. Zum Bereich Schadowstraße und Neustädtische Kirchstraße steht nur noch ein Gebäude, das Büro des Bundestages, statt früher acht Parzellen.

Wie kann sich unter diesen Voraussetzungen wieder die „alte Promeniermeile" herstellen lassen? Aus Sicht der Gesellschaft Historisches Berlin (GHB) besteht dringender Handlungsbedarf.

Die zuständigen Senatsverwaltungen müssen den besonderen Stellenwert des Boulevards endlich zur Chefsache machen. Dabei muss man zunächst die bereits gemachten Fehler angehen. Beim Bau der U-Bahn hätte man die viel zu engen Bürgersteige auf beiden Seiten der Mittelpromenade verbreitern müssen. Eine Gestaltungssatzung bezogen auf typische historische Bebauung hätte das Bild der glatten überbreiten Fassaden erträglicher gemacht. Zu mindestens die Einstufung der Mittelpromenade zum Gartendenkmal wäre möglich gewesen. So bleibt auch dieses städtebauliche Juwel unvollendet.

Welche weiteren Probleme müssen angegangen werden? Bei den Neubauten dominiert kühle Funktionsarchitektur, die keinerlei Bezug zur historischen Umgebung aufweist. Es fehlt größtenteils an qualitätsvollen Gastronomie- und Einzelhandelsangeboten. Nicht einmal sind die zahlreichen abgeholzten Linden nach dem Abschluss der Bauarbeiten zur U 5 neu gepflanzt worden. Und dieser Abschluss ist nun bald vier Jahre her. Nun soll es noch einmal vier Jahre bis zu einer Neupflanzung dauern.

E muss dringend umgesteuert werden - mit Sofortmaßnahmen, aber auch längerfristig. Der Senat sollte alle Akteure von Einzelhändlern, Gastronomen bis hin zu Kultureinrichtungen und Tourismus-verantwortlichen mit ihren Ideen an einen Tisch bringen und einen Masterplan für den Boulevard Unter den Linden entwickeln. Schwerpunkte dieses Masterplans sollten die Themen Architektur, Aufenthaltsqualität als Boulevard und Qualität von Gastronomie-, Einzelhandels- und Kulturangeboten sein.

Es ist die Aufgabe von Politik, Kultur und den Bürgerinnen und Bürgern, die Straße „Unter den Linden" als Boulevard und Visitenkarte Berlins, wiederherzustellen und ihr etwas von ihrer Pracht zurückzugeben.